Jugend informiert

Jugend informiert

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Projektbeschreibung

Das Projekt Jugend informiert verfolgte die spezifische Zielsetzung, ein gesellschaftliches Tabuthema – Suizidalität und Suizide bei Jugendlichen – innerhalb der Risikogruppe direkt und offen anzusprechen, um dadurch einen Austausch zu ermöglichen sowie Möglichkeiten der Hilfe aufzuzeigen. Dies wurde durch Informations- und Präventionsveranstaltungen an verschiedenen Schulformen, Bildungsträgern sowie in Konfirmations- und Firmgruppen verwirklicht.

Hintergrund der Projektzielsetzung ist die Tatsache, dass Suizid bei jungen Menschen unter 25 die zweithäufigste Todesursache darstellt und Jugendliche im Vergleich zu anderen Altersgruppen besonders häufig Versuche unternehmen, ihr Leben durch die eigene Hand zu beenden. Dies liegt mit darin begründet, dass während der Pubertät viele Entwicklungsveränderungen zusammen fallen, die junge Menschen teilweise so stark überfordern, dass Suizidgedanken aufkommen können. Den Gedanken, akut erlebte Sorgen, Ängste und Nöte durch den eigenen Tod zu beenden, haben die meisten Jugendlichen irgendwann während ihrer Entwicklung. Aufgrund dessen ist es naheliegend, dieses Thema auch direkt unter Jugendlichen anzusprechen.

Bei der Online Jugendberatung Youth-Life-Line (YLL) des Arbeitskreises Leben e.V. (AKL) Reutlingen/Tübingen geschieht dies durch ehrenamtlich engagierte Jugendliche, die als KrisenbegleiterInnen gefährdete Jugendliche per Mail unterstützen. Da Jugendliche unter sich die „gleiche Sprache“ sprechen, werden Inhalte lebensweltnah weitergegeben und erfahrungsgemäß auch besser angenommen. Dieses Prinzip der Peereducation wurde auch im Projekt Jugend informiert umgesetzt. Das Thema „Suizidalität im Jugendalter“ wurde in Informations- und Präventionsveranstaltungen von Jugendlichen für Jugendliche – also innerhalb der Peergroup – vermittelt.

Dazu wurden 18 der schon bei der Online Jugendberatung YLL tätigen PeerberaterInnen mit zusätzlichen Kompetenzen als „ÖffentlichkeitsreferentInnen“ für Einsätze an Schulen ausgebildet.

Während der Schulungsphase zu Beginn des Projektes, eigneten sich die teilnehmenden PeerberaterInnen in Workshops zahlreiche Fertigkeiten zu Präsentation, Rhetorik und körpersprachlichen Aspekten der Vortragstechnik an. Darüber hinaus erweiterten sie ihr Wissen im Umgang mit und Einsatz von relevanter medialer Technik sowie dem Sprechen vor Gruppen und dem Leiten und Moderieren von Gruppen. Zusätzlich vertieften die PeerberaterInnen im Rahmen der Schulungsabende von Jugend informiert ihre Kenntnisse zu den Themenkomplexen „Lebenskrise“, „Suizidalität“ und „psychische Krankheitsbilder“, um über eben diese dann in den Einsätzen Gleichaltrige zu informieren.

Zur intensiven Vorbereitung auf die Einsätze hospitierten die PeerberaterInnen während der Schulungsphase bei Präventionsveranstaltungen von Fachkräften des AKL und YLL.

In der Einsatzphase, welche nach der Schulung stattfand, führten die zu „Öffentlichkeitsreferenten“ ausgebildeten Jugendlichen dann in Begleitung einer Honorarkraft des AKL verschiedenste Veranstaltungen zur Suizidprävention und Information über Beratungsangebote durch. Hierbei machten sie auch auf die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements bei der Online Jugendberatung Youth-Life-Line aufmerksam und zeigten beispielhaft an ihrem eigenen Engagement, welche Potenziale diese Art des Ehrenamts für junge Menschen bereit hält.

In der Verbindung dieser beiden Bereiche sollte das Projekt Jugend informiert die Ausbildung und Kompetenzerweiterung bürgerschaftlich engagierter Jugendlicher fördern, denn die Jugendlichen hatten durch ihr Engagement bei Jugend informiert die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und Kompetenzen zu erlangen, die auch im Hinblick auf ihre Berufswahl unterstützend und wegweisend sein können. Gleichzeitig sollten weitere Jugendliche zu bürgerschaftlichem Engagement bei der Online Jugendberatung Youth-Life-Line motiviert werden. Nicht zuletzt sollte Jugend informiert suizidpräventiv wirken und junge Menschen miteinander ins Gespräch bringen sowie informieren über ein Thema, das innerhalb unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert wird, jedoch die meisten Jugendlichen unmittelbar oder in ihrem Umfeld betrifft.

 

Ergebnisse:

Insgesamt wurden während der Einsatzphase zwischen Februar 2010 und März 2011 in den Schulbetriebsmonaten 50 Veranstaltungen zur Information und Prävention durchgeführt. In den Klassenstufen sieben bis 12 sowie in Kirchengemeinden und Berufsschulen wurden insgesamt 784 junge Menschen erreicht.

Durch die Veranstaltungen von Jugendlichen für Jugendliche wurden Interessierte, Gefährdete, Betroffene oder junge Menschen, die sich Sorgen um jemanden machen und/oder helfen wollen, direkt in ihrem Umfeld erreicht. Sie erfuhren von Gleichaltrigen in ihrer eigenen Sprache auf praktische Weise, was sie tun können bzw. wo es welche Hilfe gibt.

In aufsuchender Weise wurden die Jugendlichen da angesprochen und abgeholt, wo sie ihren Großteil ihrer Zeit verbringen. Es ist davon auszugehen, dass dadurch die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen, noch mehr gesenkt wird. Nebenbei erfahren die Jugendlichen, wie eine Beratung funktioniert und lernen auch die BeraterInnen bzw. MitarbeiterInnen kennen. Auf diese Weise wurde also ein wichtiger Beitrag zur Enttabuisierung und Vorbeugung von Suizidversuchen geleistet.

Darüber hinaus diente das Projekt auch zur Werbung von weiteren Ehrenamtlichen. Während ihrer Einsätze stellen die Fachkräfte und PeerberaterInnen immer auch die Möglichkeit vor, sich ehrenamtlich zu engagieren. Die Akquirierung von Ehrenamtlichen erfolgt seit dem letzten Jahr ausschließlich durch die aktiven PeerberaterInnen und dies mit großem Erfolg, was daran zu erkennen ist, dass immer mehr InteressentInnen als Plätze vorhanden sind.

Besondere Erfolge:

Schon zu Beginn zeigte sich der Erfolg des Projektkonzeptes „Jugendliche informieren Jugendliche“, denn die Idee, ihr Wissen und ihre Kompetenzen über ein wortwörtlich „lebenswichtiges“ Thema weiterzugeben, stieß bei den PeerberaterInnen auf großen Zuspruch. Die jugendlichen Engagierten sind sich aufgrund ihrer Tätigkeit als KrisenbegleiterInnen per Mail ihrer verantwortungsvollen Aufgabe sehr bewusst und setzen sich mit großer Begeisterung für andere ein. Aus diesem Grund waren sie auch der Überzeugung, dass die geplanten Informations- und Präventionseinsätze sinnvoll sind und erfolgreich werden würden.

Die Schulung verlief wie geplant und die teilnehmenden PeerberaterInnen meldeten zurück, dass sie sich gut vorbereitet und begleitet fühlten. Durch die Hospitation bei Veranstaltungen von Fachkräften konnten sie aus nächster Nähe am praktischen Beispiel kennen lernen, wie ein Einsatz aussehen kann. Durch die Vermittlung der relevanten Techniken, bekamen sie ausreichend Handwerkzeuge, um dann in die Praxis gehen zu können.

Nach ihren Einsätzen wurden (den TeilnehmerInnen) Fragebögen zum Ablauf und der Resonanz auf ihre Veranstaltungen ausgeteilt. Darin wird deutlich, dass sich die Jugendlichen wohl fühlten vor ihren Altersgenossen zu stehen und sich aufgrund der Schulung sicher beim Präsentieren der anspruchsvollen Inhalte fühlten. Sie erlebten besonders häufig, dass die SchülerInnen interessiert und aktiv waren und das Thema unter ihnen präsent war. Es wurde deutlich, dass das Thema sehr viele Jugendliche betrifft, dass aber über genauere Details (wie z.B. Zahlen, wie viele Jugendliche Suizide versuchen oder durch Suizid sterben) kaum Informationen bekannt sind. Es wurden von Seiten der SchülerInnen detaillierte Fragen gestellt, was man tun kann, wenn es einer FreundIn nicht gut geht oder diese gar darüber spricht, nicht mehr leben zu wollen. Diese Fragen wurden eingehend besprochen und es gab konkrete Tipps und Hinweise für den Umgang mit Suizidgefährdeten von den Fachkräften und den PeerberaterInnen.

Das grundlegende Ziel der Präventionsveranstaltungen „über Krise und Suizidalität ins Gespräch kommen, zu informieren und Hilfsmöglichkeiten aufzeigen“, wurde erreicht. Darüber hinaus war überwiegend ein großes Interesse am Angebot der Onlineberatung speziell von und für Jugendliche zu verzeichnen und auch die persönliche Begleitung im AKL, insbesondere die Jugendsprechzeit, wurde aufmerksam aufgenommen. Das mitgebrachte Informationsmaterial von YLL und AKL wurde gerne mitgenommen und auch das Angebot eines persönlichen Gespräches mit der Fachkraft oder den PeerberaterInnen unter vier Augen im Anschluss an die Veranstaltung blieb selten ungenutzt.

Viele SchülerInnen interessierten sich außerdem für die Ausbildung zur PeerberaterIn, einige davon nahmen an der Ausbildungsgruppe im November 2010 teil, weil sie im Unterricht über eine Jugend informiert-Veranstaltung von YLL gehört hatten.

Sehr positiv erlebten die an Jugend informiert teilnehmenden PeerberaterInnen die Vorbereitung, Unterstützung und Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Fachkräften und den Wissens- und Erfahrungszuwachs. Sie konnten Vieles umsetzen und Gelerntes auch für die Schule und bevorstehende Herausforderungen nutzen. Sie nahmen insgesamt eine Vertiefung und Erweiterung ihres Wissens wahr.

Eine Teilnehmerin wurde ausführlicher zu ihren Erfahrungen befragt.

„Ich fand es cool, dass man sich weiterbilden konnte und etwas für sich selbst dazugelernt hat“, sagt die 18-jährige Franziska Steinhübel, eine der 15 jugendlichen ÖffentlichkeitsreferentInnen. Franziska lobt die Ausbildung, die sie durch „Jugend informiert“ genossen hat: „Ich fand die Ausbildung sehr gut, da wir ziemlich genau auf die Einsätze vorbereitet wurden. Man wusste, was man zu sagen hat. Außerdem hatten wir bei den Ausbildungsabenden viel Spaß.“ Beim Präsentieren der suizidpräventiven Inhalte erlebt Franziska die Begleitung durch die pädagogisch-therapeutische Fachkraft als große Unterstützung, insbesondere wenn schwierige Fragen aus der TeilnehmerInnengruppe kommen, bei denen die Fachkraft gegebenenfalls Ergänzungen einbringen kann. Über die Veranstaltungen erzählt sie:„Es gefällt mir an den Präventionsveranstaltungen, dass ich mit den Leuten direkt in Kontakt kommen und mein Wissen über Suizidalität weitergeben kann. Besonders großen Spaß macht es mir, wenn ich merke, dass die Teilnehmer echtes Interesse zeigen und viele Fragen stellen. Es ist schön für mich, das Gefühl zu haben, dass die Teilnehmer etwas für sich mitgenommen haben.“ Franziska sieht es als große Bereicherung, dass sie durch „Jugend informiert“ ihr Wissen über Suizidalität, das sie bereits bei Youth-Life-Line erworben hatte, nochmals wiederholen und vertiefen kann. Außerdem trägt die Tätigkeit als Öffentlichkeitsreferentin laut Franziska dazu bei, die eigene Präsentationskompetenz zu steigern: „Man hat eine gewisse Routine entwickelt, vor Gruppen zu stehen, was einem wiederum selbst etwas nutzt, um mit der eigenen Aufregung umzugehen und auch mit fremden Menschen über so ein tiefgründiges Thema zu sprechen.“ Suizidalität gilt weiterhin als gesellschaftliches Tabu-Thema. Franziska erlebt bei den Präventionsveranstaltungen, dass die TeilnehmerInnen auf das Thema sehr unterschiedlich reagieren. Sie sieht zwei Hauptfaktoren als ausschlaggebend dafür, wie gut eine Gruppe das Thema aufnimmt: Sehr junge Teilnehmer täten sich mit dem Thema schwer, außerdem sei es sehr wichtig, wie gut eine Gruppe bereits auf das Thema Suizidalität vorbereitet sei: „Es ist schwierig, ein gutes Gespräch mit der Gruppe zu führen, wenn von der Gruppe nichts kommt. Dann kann ich es auch schwer einschätzen, ob es den Teilnehmern unangenehm ist, über das Thema zu reden. Die Gruppen, die bereits das Thema Suizidalität behandelt haben, sind sehr interessiert daran, wie man mit Menschen umgehen kann, die in einer Krise stecken oder suizidal sind. Ich denke, sie fühlen sich gut, wenn sie eine Vorstellung davon bekommen, wie man auf suizidale Menschen zugehen und sie unterstützen kann.“ Die Gruppen zeigen großes Interesse an der Online-Beratungsstelle Youth-Life-Line, die im Rahmen von „Jugend informiert“ vorgestellt wird. Franziska erzählt: „Viele finden, dass es ein tolles Angebot ist und interessieren sich dann auch für die Ausbildung als Peerberater. Wir geben den Teilnehmern Infomaterial und bieten die Möglichkeit an, Fragen zu der Ausbildung und zu der Tätigkeit als Peerberater zu stellen.“ Der Kontakt zwischen Gleichaltrigen, der die Online-Beratung bei Youth-Life-Line so besonders macht, prägt auch die Veranstaltungen von „Jugend informiert“. Hierzu meint Franziska: „Das Tolle an dem Projekt ist, dass Gleichaltrige miteinander ins Gespräch kommen und man sich dabei auf der selben Ebene bewegen kann. Man kann sich gut ineinander hineinversetzen und hat vielleicht auch schon Ähnliches erlebt.“

 

Projektträger
Arbeitskreis Leben e.V. (AKL) Reutlingen/Tübingen
Österbergstraße 4
D-72074 Tübingen
Deutschland
Themenfeld
Region, Partner
Infos
Zuletzt geändert: 
22.03.2016 - 16:09
Inhaltstyp: 
projekt
Beitrag Id: 
251902